Filme: »Climax« (2018)

DRUNTER & DRÜBER

(»Climax« – F 2018/Regie: Gaspar Noé)

Der „Höhepunkt“ von Gaspar Noé„Climax“ – nährt die Erwartungen, dass Noés Schaffenswerk demnächst in eine neue Phase eintritt. Bis es soweit ist, tanzen die Körper noch einmal für ihn und geben sich noch einmal ihren Ungebundenheiten hin, ihren schwülstigen Reibungen wie ihrer sexuellen Mechanik. Das „Sein“, das der argentinische Provokateur versucht zu greifen, nistet sanft in den Menschen, über die er rotiert: ein atemzartes, sich jeder Berührung entziehendes Sein, der Körper eine Fläche ohne Zeichen. Viele dieser obszönen Körperflächen schmiegen sich in „Climax“ aneinander und reißen, je nach Lust, wieder auf. Das ist nicht allzu überraschend: „Climax“ greift nicht um sich, indem sein Schöpfer durch Zeit und Raum Zeiten und Räume performativ kartografiert. Der Film stilisiert sich im Austausch als zeitlich und räumlich exakt verortetes Kammertheater irgendwo dort, wo eine französische Flagge ein futuristisches Tuning durchlief, dort, wo die Schöpfer kaum ihren Stolz verhehlen können, auf die französische Herkunft ihres Werks zu pochen. „Climax“ ist ein französischer Film, aber weit davon entfernt, ein Chanson zu sein.

Weil Gaspar Noé sein Kino auf dessen Zutaten energetisch abklopft, verweist er mit „Climax“ an die Befriedigung, mit der er – seines Zeichens ein ungestümer Holzfäller – das Kino vor nicht allzu langer Zeit polemisch pfählte. Er organisiert ein Ensemble an Tänzern, die nach ihrer Probe ihre Lebensprobe durchzustehen haben: Jemand mischte Drogen in die Sangría. Jemand ist dafür verantwortlich. Und jeder übertänzelt die Norm, bei der der Tanz ein Spiel war. Der ästhetische Bruch zwischen Spielstätte und Gewaltregime vollzieht sich in Bewegung – zuerst ausgelassen, dann zombifiziert, erst apollinisch, dann dionysisch, verlieren Noés humanoide Lebewesen fortwährend ihre moralisch umzäunten Sicherheiten. Losgelöst zertrümmert der Filmemacher die Perspektive, wenn er – wie eine göttliche Inkarnation – den Tanz im Umfassendsten filmt. So ist ein Musical made by Gaspar Noé vorstellbar: Kurz vor dem Orgasmus zerstreuen sich die Körper in alle Winkel, bevor sie wiederholt zu einer Formation zusammenrauschen. Man ist geneigt zu weinen, dass das auch heute noch möglich ist – wenn Bilder irrlichtern.

© Alamode Film

Der Vorgänger „Love“ (2015) bestand die Feuertaufe im Nachhinein als Noés herausstechendster, da im Vergleich eigenwilligster (Erzähl-)Film. In akribisch berechneten, starren Quadraten sperrte er die unerfüllte Liebe ein, die sich umso druckausgleichender befreite und schlussendlich zirkulierte. „Climax“ dagegen bedeutet eine Rückkehr zu den Anfängen und Kulminationspunkten – zu „Irreversible“ (2002) und „Enter the Void“ (2009). Benoît Debie ist der entscheidende Mann. Der belgische Kameramann macht das Unwahrscheinlichste möglich, indem er den extrovertierten Habitus der Geschichte in eine visuelle Neonvertiefung unweit des Unterbewusstseins transformiert. „Irreversible“ (hyperventilierendes Gewusel) und „Enter the Void“ (auf den Kopf gestellte Plansequenzen) scheinen sich in „Climax“ fundamental zu begegnen. Hinzu kommen existenzialistische Zwischentitel und Noés Markenzeichen, die Zeit filmischer Kausalität umzukehren: Der Abspann von „Climax“ schiebt sich nach vorn, während willkürlich getackerte Schwarzblenden diejenigen grammatischen Brüche darstellen, die irritierendes Unwohlsein erzeugen.

Trotz alledem wird man „Climax“ nach dem ersten und daher nach dem einzigen Mal völlig entdecken können. Das ist schade. Gaspar Noé höchstselbst verwies auf den Sinn und Zweck eines Best-of-Albums, das „Climax“ repräsentiere und auch, eingepfercht zwischen Lieblingsbüchern und -filmen des gebürtigen Argentiniers, andeutet. In vielerlei Hinsicht vermisst man das Timing – manche Dialogsequenzen winden sich ins Unendliche (die einführenden Interviews der Tänzer), manche kippen ins Chauvinistische (Analsex), einige andere gerinnen zu stupidem Pulp. Schlechthin trashig „verfeinert“ Noé zusätzlich das Dröhnen, Wummern und Balzen: Neben einem eingeschlossenen Kind (Vince Galliot Cumant) sowie der unbefriedigenden Jagd nach der ersten homosexuellen Erfahrung sorgt eine verheimlichte Schwangerschaft für semidramatische Alibikonflikte. Ohne es womöglich gewollt zu haben, kann der Filmtitel „Climax“ ironischerweise dekonstruktivistisch auf die Dramaturgie der Episoden angewendet werden, denn dem „Höhepunkt“ (bei dem Debie die Einstellung minutenlang dreht) gehen (jedoch: abtörnende und überhaupt nicht heiße) Vorspiele voraus.  

Titelbild © Alamode Film     

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