Serien: Mein Notizblock zu »Game of Thrones« (Staffel 8)

GESCHICHTEN AUS WESTEROS

(»Game of Thrones« – USA 2019/Regie: David Nutter u.a.)

Eine vollfertige Rezension war mir die achte und finale Staffel von „Game of Thrones“ im Zuge ihrer heißblütigen Fledderei andernorts nicht wert. Ich wollte nicht noch einmal das aufwärmen, was die geehrten Kollegen so gründlich wie pointiert aufbereitet haben. Meine Gegenstrategie war es daher, Kommentare, Gedanken und Assoziationen, die ich zu den jeweiligen Folgen auf unterschiedlichen Plattformen verfasst habe, hier zu einem zusammenhängenden Textbild zu verknüpfen. Mir erschien es nicht zielführend, besagte Notizen im Nirwana des Internets verschwinden zu sehen.

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//Folge 1: „Winterfell“ (Regie: David Nutter)

Ich sehe gerade in der Auftaktfolge, dass die Erschöpfung und Zeitnot von D&D (auch) zu einigen positiven Nebenerscheinungen führen können: Die Ökonomie des Erzählens, den epochalen Rahmen der Serie quasi eindampfen zu müssen, verhindert (manchmal) eine allzu breitgelatschte Melodramatik. Vor allem die Begegnungen zwischen Arya – Jon – Gendry – Sandor sind auf den Punkt hin geschrieben und interpretiert. Würdevoll, kurz angebunden und doch emotional ausgespielt. Da sitzt jede Geste. Angenehm!

© HBO

Die zirkulären Verweise auf die Anfänge der Serie lassen zudem einen Raum der, würde ich sagen, „Selbstwerdung“ frei: Wo standen die Figuren einst und zu welcher Persönlichkeit sind sie nach jahrelanger Arbeit, einem ausdauernden, anstrengenden „Kampf mit sich selbst“, gereift? Man vergleiche die Arya aus der ersten Staffel mit der Arya der jetzigen. Unzweifelhaft wurden wir Zeuge dessen, wie Mädchen Frauen und Jungen Männer wurden, wie Menschen Verantwortung erlangten und mit einer nicht zu unterschätzenden „Unaufgeregtheit“ (vielleicht: Reserviertheit?) angesichts der Umstände, die einen prägenden Einfluss auf sie ausübten, erwachsen wurden. Und das ist nicht nur serienintern gemeint. Deshalb fällt es doppelt schwer, irgendwann die Zügel aus der Hand zu geben. In gewisser Weise war „GoT“ seit jeher ein Big-Brother-Sozialexperiment im Beruflichen wie im Privaten, eine Serie des Werdens, des mündigen Menschen, wie er sich in einigen Charakteren und Schauspielern stärker als vor über 10 Jahren zeigt.

Kleinteiliges: Euron ist nach wie vor grausam peinlich geschrieben*, der Drachenflug wenigstens tricktechnisch sensationell, Dany-Jon so ziemlich das unerotischste Paar der Seriengeschichte und Sam mein heimlicher Liebling, da er „einfach nur so“ in seiner Aufrichtigkeit bestehen darf. Große Augen, Staunen. Ganz anders Tyrion, dessen scharfäugige Weitsicht dekonstruiert wird. Das spontane Wunder ist der Serie aber (logischerweise) abhanden gekommen. Es gilt immerhin, ein Rennen nach einem Plan zu gewinnen. Und ich habe meine Zweifel, dass D&D es souverän gewinnen werden. Am besten war die Serie dann, als es nicht darum ging, Pläne umzusetzen, sondern über Pläne zu debattieren. Ein Twitter-User schrieb es: Was wäre das für eine grandiose Staffel, wenn sie ausschließlich die Derivatgeschäfte der Iron Bank dokumentieren würde?

*Hausarbeit: Wie viel B-Movie verträgt Westeros (noch)?

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//Folge 2: „A Knight of the Seven Kingdoms“ (Regie: David Nutter)

Die Kaminfeuerrunde hätt‘ ich gern als wöchentliches philosophisches Format. Netflix, Amazon, anyone?

Formidable Folge; die Rhetorik hat die Serie groß gemacht. Zum Glück ist uns mit Tyrion einer der letzten begnadeten Rhetoriker erhalten geblieben, während Brienne die Anerkennung erhält, die sie verdient: als Frau, als Mensch. Progressiv positioniert sich Bryan Cogman gegen den ersehnten Traditionalismus dieser Tage – noch ein Beweis, warum die Serie sich offen politisch (und manchmal beißend linksliberal) im Feld ihrer monarchischen Archaismen bewegt.

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Endlich haben die Autoren ein Gesichter-Miniaturstück ohne Bombast zwischengeschaltet, das sich einer Sprache bedient, deren Sentimentalität und Intimität große Schönheit entfacht. „GoT“ wird eine Leere hinterlassen.

(Erste Erkenntnis in der nächsten Folge: Die Krypta ist nicht sicher. Sicher.)

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//Folge 3: „The Long Night“ (Regie: Miguel Sapochnik)

Unabhängig der enormen ästhetischen Reize (was für ein zerschossenes, heillos zerstückeltes Lagerfeuer; TV-AVANTGARDE!) –„GoT“ ist wie so vieles andere Opfer eines Zeitgeistes geworden, der nur noch die absurdeste Verflachung kennt: den zu einer coverfüllenden Zeitungsbeilage, zu einem ironischen Tweet künstlich hochgezüchteten Superhelden ohne menschliche Greifbarkeit, die Entwertung des Sterbens, das Verhöhnen des Lebens, weil sowohl das Sterben als auch das Leben das gigantischste aller Bilder, eine Zeitlupenzeremonie, brauchen. Konnte aber nicht beides, wie uns die Serie gelehrt hat, vielmehr nicht etwas unerträglich Zartes, Geheimes, ja „Leeres“ sein? Das hier ist allenfalls unecht und unverschämt, eine unglaubliche Karikatur einer Vision. Was bleibt noch? Nutter, Djawadi, Cersei, die Cleganes. Darauf ’ne Tüte Mikrowellenpopcorn.

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Zweitsichtung: Besser. Das Mario-Bava-Rot sticht immer noch alles und jeden aus, und insgeheim wähnt man sich in einer experimentellen, von Unschärfe und Blickachsen konturierten TV-Folge, für die sich ein Jean-Luc Godard spektakulär entschied, die Regie zu übernehmen: Das Auge ist permanent auf der Suche nach Fixpunkten, tastet Materialfragmente am rechten und linken Geschehensrand ab und wird allerorten „gestoppt“, sobald sich im Chaos erhabene wie erhebende Momente* ankündigen. Davon gibt’s durchaus ein paar, allen voran wie ein Atmen mit dem Wind in Winterfell lyrisch zusammengedacht wird und Melisandre zu einem Häufchen magierohen Knochenstaub zerfällt. Poetisch gestalten D&D einen Kampf, der, bevor er überhaupt begann, wieder endet. Das brachte Fans auf die Barrikaden. Mit wachsender Distanz und einem „gelasseneren“ Blick auf die Folge sehe ich den Arya-Move mittlerweile nicht mehr (oder kaum noch) verbissen. Arya war eine logische Wahl, deren Weg seit einigen (Staffel-)Jahren vorgezeichnet war. Ich sehe die narrative Diskrepanz eher darin, dass in dieser achten Staffel ein überdimensioniertes Loch zwischen dem, was erzählt wird, und dem, wie es erzählt wird, klafft. Wie Melisandre klappt die seit dem ersten Jahr „GoT“ kontextualisierte Gefahr der Weißen Wanderer (die im Übrigen das erneuerte Intro motivisch bestimmen) Hals über Kopf zusammen – das darf man vollkommen gerechtfertigt kritisieren.

*Hausarbeit: Wie überlebte Sam die Schlacht?

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//Folge 4: „The Last of the Starks“ (Regie: David Nutter)

Selbst der allergrößte und allerhartnäckigste „GoT“-Allesfresser muss sich eingestehen, dass die vierte Folge die schwächste des achten Jahres und eventuell eine der schwächsten Folgen von über acht Jahren Produktionszeit markiert. Ich habe kein Problem mit zufällig auftauchenden Flotten, einer Cersei im Cersei-Autopilot (Entschlossenheit: Blick nach vorn, Mitleid: Blick zur Seite, Machtsicherung: Schulterblick, Zufriedenheit: Weinglas) und allerlei sonstigen Unwahrscheinlichkeiten, die nur deshalb Unwahrscheinlichkeiten sind, weil sie realhistorisch gelesen werden – wer einen anstrengenderen Rezeptionsmodus anbietet, möge das Kommentarfeld konsultieren.

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Oft sehe ich auch über das bemühte Schnutenspiel Emilia Clarkes sowie über Brans Marihuana-Chill-Attitüde hinweg. Aber das alles bedeutet gar nichts, wenn man merkt, dass Publikumsliebling (warum genau?) Bronn und Brienne (eher Publikumsliebling) wunschtraumliebliche Szenen bestreiten dürfen. Punkt 1: Es würde mich nicht wundern, wenn Tarantino Jerome Flynn eines Tages casted. Punkt 2: Ich habe in der latent angedeuteten, doch nie ausbuchstabierten „Romanze“ (bewusst mit Anführungszeichen) zwischen Jamie und Brienne nie, nun ja, Sexualität, Fleischeslust, Geilheit gesehen. Ihr beiderseitiges Verhältnis war angereichert mit Anstand und Toleranz konträr ihrer Stellungen, Häuser und Geschlechter – geradezu nuanciert und auf Werte bedacht, arbeiteten die Autoren eine – für ein mittelalterlich anmutendes Patriarchat gesehen – progressiv platonische Beziehung aus.

Die Serie gibt sich damit nicht zufrieden. Jaime und Brienne müssen sich qua D&D nicht nur näherkommen, sondern sich ekstatisch das Hirn rausvögeln, um Jaimes anschließende Entscheidung, gen Königsmund zu reiten, in wiederholter B-Movie-Gewürzmischung dramatischer auszugestalten. Indes bleibt Brienne am Wegesrand zurück, steht da wie ein nicht abgeholtes, dem Regen ausgesetztes und aufgeweichtes Päckchen und trauert ihrem Kerl hinterher eine bizarre Ode an eingestaubte Rollenbilder, die gerade dann Risse offenbarten, als sich ebenjene Jaime und Brienne über den Körper der Liebe hinwegsetzten. Hätte der unwahrscheinlich erbauende Augenblick, in dem Brienne zum Ritter geschlagen wurde, nicht in seiner Stille, in seiner Andacht ausgereicht, die Figur „fertig“ zu erzählen (ehe sie stirbt, was sie nicht tut)?

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//Folge 5: „The Bells“ (Regie: Miguel Sapochnik)

Gedanke #1: Asche, Trümmer, Gebäudereste – bekannt? In wie viele ästhetische Interpretationsschablonen 9/11 im amerikanischen Kino mündete, zeigt sich hier (mitunter) eindrucksvoll. Die Amerikaner befinden sich, auch fast 20 Jahre danach, immer noch mitten in den Verarbeitungsstufen für ihr Versagen, hochgradig unvorbereitet mit Unterhosen dagestanden zu haben. „GoT“ hat viele Schlachten geschlagen, der Trumpf ihrer Kriegsbilder allerdings war, wann immer es sich anbot, dass die Serie (weitgehend) Abstand nahm von über Gebühr veranschlagten Totalen. Hinein ins Getümmel, fixiert auf Menschen und Opfer. Schlachten waren in der Serie stets intersubjektiv und sozial verknüpft – ganz den Bildern eines amerikanischen Traumas verhaftet, wie sie medial vervielfältigt wurden, bis sich ihr Ursprung quasi nicht mehr nachvollziehen ließ. Mein Tipp: In Zeiten von Trump nebst Clique werden D&D mit Sicherheit das Serienende – ob unterschwellig oder nicht, sei einmal dahin gestellt – als demokratisches Bekenntnis gestalten.

(Bisschen zu viel CGI-Mascara aus der Rechnerhölle war’s für meinen Geschmack trotzdem.)

Gedanke #2: Rüstung = Körperpanzer ≙ das Innere nach außen? Im Cleganebowl wurde eine Rüstung aufgesprengt, zum Vorschein kam das „wahre“ Selbst, befreit, grotesk malträtiert und angreifbar. Ein allegorisches Leitmotiv? Denn: Als sich Sandor von Arya verabschiedete, sahen wir in ein Gesicht, in ihr Gesicht, das sich zurückverwandelte – in ein kindliches, frühreifes und träumerisches Gesicht einstiger Jahre, das Arya über mehrere Staffeln hinweg gekonnt zu verbergen wusste. Daneben: Cerseis menschliche Rückverwandlung, Danys Geburt einer Tragödie, Jons Erwachen durch das Erwachen der Macht, bei dem er gezwungen wird, endlich unverstellten Blickes hinzusehen: Impressionen von Entkleidungen, von Nacktheit. Unsere Charaktere offenbaren uns ihre Karten ab dem Zeitpunkt, an dem das Spiel gespielt ist – und von vorn losgeht.

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Gedanke #3: Alfred Hitchcock und Luca Guadagnino haben ernsthafte Parallelmontagekonkurrenz bekommen. 

Gedanke #4: Arya wird mit einer Faust auf den Buzzer gewaltsam „erweckt“. Werden „GoT“-Figuren nach dieser Methode nicht auch durchgehend gewaltsam aus ihrem Leben gerissen, um seit nunmehr drei Staffeln – nach wiederum dieser Methode – gewaltsam am Leben zu bleiben?

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//Folge 6: „The Iron Throne“ (Regie: David Benioff, D.B. Weiss)

„GoT“ endet, wie die Serie enden musste: im Kreis. Als ob das Ende immer da war, als ob sich dessen Firnis bereits in Ruinen, in der Asche, im Schnee innerhalb der Jahre ansammelte. Muss jede unsterbliche Geschichte, wenn sie sachte beginnt zu sterben, zu ihrer Geburt finden? Dann wäre „GoT“ eine überragende gewesen. War sie aber nicht.

Am Ende verließ den Showrunnern der zwingende Weit- und Tiefenblick, dass sie mit „GoT“ eigentlich weit mehr als eine Geschichte erschaffen haben, die nicht nur gelesen und gesehen wurde, sondern in der kollektiven Verknüpfungs-, Bearbeitungs- und Fortschreibungsekstase mehrere Leben hatte. Zusehends brachen sich externe Kräfte Bahn, die nicht mehr zu kontrollieren waren, je größer die Geschichte außerhalb der Geschichte wurde: Fan-Fiction-Nachschreibungen, Alternativdichtungen, Erwartungsdruck, Eile, Raserei. Also musste die Serie rabiat(er) enden. Noch einmal befriedigt werden, will heißen: im nostalgischen Plenum sitzen, alle versammelt und einander zugeneigt, süß, bitter, vor allem süß und dem unbedingten Leben verhaftet.

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Es fällt trotzdem schwer, Abschied zu nehmen. Haben deshalb, welch‘ Frevel!, die Showrunner tatsächlich gewonnen – oder hat eine Geschichte gewonnen, die Zweifel daran lässt, ausschließlich eine Geschichte gewesen zu sein? Die erträumtes Leben, verwirklichter Mythos, Kultur und Zeitgeschichte, Mediendiskurs und Politreflexion, schlicht ein Sehnsuchtsfänger für jeden und jede war? Deshalb: Der Abschied fällt schwer, weil die Geschichte von „GoT“ nicht ankam gegen die Geschichte mit „GoT“.

Trost bleibt: Bis bald.

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